Halterin Tanja Tissi hält ihren Kopf dicht neben Jokers Kopf. Beide blicken in die Kamera. Tissi lächelt und trägt eine Kappe und eine blaue Windjacke. Joker hat ein helles Kurzhaarfell, weiss mit einem Hauch Braunton.

Tanja Tissi und Andreas Pössnecker haben Joker vor fünf Jahren adoptiert.

Der Hund Joker springt zur Weggabelung, hält an und blickt zu Tanja Tissi zurück. Mit einer Handbewegung weist sie auf den linken Weg. Sofort biegt Joker mit wedelndem Schwanz nach links ab, gefolgt von Hündin Leila. Das spielt sich harmonisch ab. Kaum jemand käme auf die Idee, dass Joker nichts hört. Doch bis es soweit war, musste er ein intensives Training durchlaufen, gepaart mit viel Zuwendung.

Tauber und hörender Hund

Damit Hündin Leila einen Gefährten hat, suchten Tissi und Pössnecker vor fünf Jahren einen weiteren Hund. Zufälligerweise hatte der Deutsche Tierschutz zu dieser Zeit einen tauben Hund. «Da war es für mich klar, dass ich ihn adoptieren wollte», sagt Tissi. Grundsätzlich sei ihr ein gehörloser Hund lieber, da ihr ein Leben mit Gehörlosigkeit seit ihrer Kindheit vertraut sei.

Von ihren bislang sieben Hunden ist Joker erst der zweite taube Hund. Trotzdem: «Die Liebe und Freude an den Hunden stehen im Vordergrund, nicht die Hörfähigkeit», betont Tissi. Die in Schaffhausen Aufgewachsene lebte lange im Kanton Zürich, bevor sie zu ihrem hörenden Mann nach Deutschland zog. «Hunde sind unsere Leidenschaft, und so haben wir uns für ein Leben mit ihnen entschieden», erklärt sie. 

«Da war es für mich klar, dass ich den tauben Hund adoptieren wollte.»

Tanja Tissi, liebt Hunde

Als Tissi und Pössnecker Joker zu sich holten, waren sie gespannt, wie Leila sich mit ihm verstehen würde. Doch diese akzeptierte den Neuen gut. «Für Leila existieren keine Kategorien wie <hörend> und <gehörlos>.» Sie wundere sich nur manchmal darüber, wenn Joker sich anders verhält, etwa wenn er sich erschrickt, weil er nicht durch ein Geräusch vorgewarnt wird, und dann zu bellen beginnt. «Für Leila ist Joker einfach so, wie er ist», fasst Tissi zusammen.

Warum Joker taub ist, weiss das hundeliebende Paar nicht. Eine angeborene Taubheit, Komplikationen bei der Geburt, eine Krankheit oder ein Unfall könnten die Ursache sein. Wie Leila stammt Joker aus Rumänien und ist ebenfalls ein Mischling. Als Joker bei Tissi und Pössnecker ein Zuhause bekam, war er bereits ein Jahr alt. Über die ersten Monate seines Lebens ist fast nichts bekannt. Statt sich weiter mit der Ursache seiner Taubheit zu beschäftigen, konzentrierte sich das Ehepaar gleich auf die Beziehungs- und Erziehungsarbeit.

Leila und Joker liegen dicht nebeneinander auf dem Boden. Während Joker die Augen geschlossen hat, hat Leila sie offen und schaut in die Kamera. Leila hat ein Langhaarfell in hellen und dunkleren Grautönen.

Leila (hinten) geniesst die Nähe zu ihrem Gefährten Joker (vorne).

Vom Wilden zum aufmerksamen Begleiter

«Anfangs war Joker sehr wild und hat mich und Andreas kaum beachtet. Er hatte keine Übung darin, die Befehle visuell aufzunehmen», beschreibt Tissi die ersten Tage und Wochen nach der Adoption. Ausserdem war er nicht gewöhnt, an der Leine zu gehen. Das Ehepaar investierte viel Zeit in die Beziehung und das Training. «Es gab einen Moment, in dem ich frustriert darüber war, dass die Erziehung so viel Zeit brauchte», gesteht Tissi. Jedoch ermutigte ein Trainer aus der Hundeschule sie, dranzubleiben. Dank viel Ausdauer brachte das Paar Joker mithilfe von Leckerlis bei, immer wieder Blickkontakt zu suchen und lobten ihn, wenn ihm das gelang. Heute orientiert sich der taube Vierbeiner beim Spazieren und auch sonst regelmässig bei seiner Halterin und seinem Halter.

Hunde «lesen»

Allzu gerne hätte Tissi mit Joker an einem Kurs der Hundeschule teilgenommen. Aber es gab keine Lösung für die Finanzierung einer Dolmetscherin oder eines Dolmetschers. Daher ging Pössnecker alleine mit dem Hund hin.

«Für Leila ist Joker einfach so, wie er ist.»

Tanja Tissi, über ihre Hündin Leila

Dafür sind die visuellen Sinne Tissis geschärft, weil sie sie im Alltag durch ihre Gehörlosigkeit stärker einsetzt. Dadurch nimmt sie feine Nuancen wahr, etwa wie die Hunde sich verhalten, bewegen, ihre Ohren positionieren und vieles mehr. Auf diese Weise lernt sie die Hunde gut kennen und sagt: «Bei Joker erkenne ich an seiner Mimik sofort, wenn ihm etwas nicht passt.»  

Gebärden von der Gebärdensprache

Im Hundesport gebe es feste Zeichen für Kommandos, wie «Komm!». Diese übernahm Tissi nicht. «Die Gebärdensprache ist meine Muttersprache. Deshalb war es für mich naheliegend, einige Gebärden daraus für die Kommunikation mit gehörlosen Hunden zu verwenden», erläutert sie. 

Diese Gebärden führt sie langsamer und mit grösseren Bewegungen aus, als dass es in der Gebärdensprache üblich ist. Anders als die Gebärden für «spazieren», «bleib stehen!», «fressen» hat Tissi die Gebärde für «trinken» angepasst. Denn die Gebärde verweist darauf, wie ein Mensch aus einem Glas oder einer Tasse trinkt. «Da Hunde aus einem Napf trinken, habe ich die Gebärde entsprechend modifiziert.»

«Die Gebärdensprache ist meine Muttersprache. Deshalb war es für mich naheliegend, einige Gebärden daraus für die Kommunikation mit gehörlosen Hunden zu verwenden.»

Tanja Tissi, Halterin

Joker brauchte rund ein Jahr des Übens, um etwa acht Gebärden plus die Richtungsangaben zu verstehen. Tissi bestätigt, dass es länger dauert, einem Hund die Gebärden-Befehle beizubringen als gesprochene Kommandos. Bei einem ihrer früheren hörenden Hunde, Zito, der inzwischen altersbedingt verstorben ist, habe sie sich die Zeit genommen, ihm die Gebärden anzutrainieren. 

Die Hündin Leila hingegen bevorzugt die Stimme. Deswegen gebraucht Tissi ihre Stimme, wenn sie Leila zu sich ruft, sie lobt oder auch mal mahnt. «Die Hunde sind sehr verschieden», resümiert sie.

Gebärdennamen für Joker und Leila

Leila und Joker liegen dicht nebeneinander auf dem Boden. Während Joker die Augen geschlossen hat, hat Leila sie offen und schaut in die Kamera. Leila hat ein Langhaarfell in hellen und dunkleren Grautönen.

Joker und Leila haben je einen Gebärdennamen bekommen. Denn in der Gemeinschaft der gehörlosen Menschen ist es üblich, den Personen und Tieren, die man oft sieht, einen Gebärdennamen zu geben. Da Joker häufig mit dem Schwanz wedelt, besteht sein Gebärdenname aus einem ausgestreckten Zeigefinger, der mit dem Unterarm hin und her bewegt wird. Leilas Gebärdenname spiegelt ihre etwas spitze Schnauze wider. Dazu fasst Tissi sich mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger an die Nase und führt die Finger in einer Bewegung zueinander von der Nase weg.

Gute Beobachtungsgabe

Anders als Leila, die sich oft über das Hören orientiert, beobachtet Joker die Mimik, Körperhaltung und Bewegungen seiner Gefährtin und seiner Lieblingsmenschen aufmerksam. Ist Tissi erfreut, bemerkt er dies und reagiert mit Schwanzwedeln darauf.

«Joker nutzt wie ich die anderen Sinne.»

Tanja Tissi, über ihrem Hund Joker

«Joker nutzt wie ich die anderen Sinne», äussert Tissi sich in Gebärdensprache. «Schreitet jemand über den Holzboden, spürt Joker das Vibrieren, das die Schritte auf dem Boden auslösen, und hebt seinen Kopf, um nachzusehen, wer darüber läuft.»

Joker liebt Herausforderungen, wie beispielsweise über eine Bank zu springen oder nach einem versteckten Leckerli zu suchen. Zudem tollt er gerne im Garten herum.

 Aus dem wilden Hund ist ein aufgeweckter und aufmerksamer Begleiter und Freund geworden, der alles um sich herum genau wahrnimmt.