
Silvia Jauch ist als Social Media Managerin und Texterin tätig. Bildnachweis: zVg.
Ich sitze im Bewerbungsgespräch, die Hände leicht schwitzig – nicht nur wegen der üblichen Frage: «Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?» In Gedanken male ich mir kurz aus, wie es wäre, einfach alles auf den Tisch zu legen – unverblümt, ehrlich, komplett. Wahrscheinlich würde ich dann sagen, dass ich absolut keine Ahnung habe. Denn mit meiner Rheumaerkrankung lohnt es sich selten, langfristige Pläne zu schmieden.
Stattdessen verlasse ich mich lieber auf Kartenlegen auf dem Jahrmarkt oder auf eine virtuelle Kristallkugel, entwickelt von Elon Musk – ihre Prognosen sind ungefähr so verlässlich wie meine eigene Einschätzung. Oft weiss ich nicht einmal, wie der nächste Monat für mich oder meine Tochter aussieht. Auch sie hat’s erwischt – in Form von Epilepsie.
«Mit meinem offenen Umgang schaffe ich eine Art Realitätstest: Wie reagiert mein Gegenüber? Wird meine Ehrlichkeit wertgeschätzt – oder ignoriert?»
Trotzdem müsste ich bei diesem Monolog vermutlich grinsen. Ich nehme meine Situation mit Humor – weil das hilft. Und weil es für viele Dinge im Leben ohnehin keinen Plan B gibt. Nur: Mein potenzieller Arbeitgeber würde nach so einem ehrlichen Auftritt wohl erstmal nicht wissen, worauf er sich mit mir einlässt. Deshalb wähle ich im Gespräch den diplomatischeren Weg. Ich erwähne meine chronische Krankheit kurz und sachlich, erkläre, dass ich in der Regel stabil bin – und hoffe, dass keine Rückfragen kommen.
Eine Pflicht, chronische Erkrankungen offenzulegen, gibt es übrigens nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen. In meinem Fall betrifft meine Psoriasis-Arthritis vor allem meine Mobilität – und auch nur an schlechten Tagen. Solange ich also keine Bäume im Wald fällen muss, während eine Horde Eichhörnchen mit Tannenzapfen auf mich zielt, kriege ich meinen Job ziemlich gut hin.
«Ich bin bei Weitem kein Einzelfall. Rund ein Drittel aller Erwachsenen lebt mit einer chronischen Erkrankung.»
Aber mal ehrlich: Möchte ich wirklich für ein Unternehmen arbeiten, das mich nur deshalb ablehnt, weil ich eine Krankheit habe? Wahrscheinlich nicht. Mit meinem offenen Umgang schaffe ich auch eine Art Realitätstest: Wie reagiert mein Gegenüber? Wird meine Ehrlichkeit wertgeschätzt – oder ignoriert? Eine kleine Probe aufs Exempel für mein zukünftiges Arbeitsumfeld.
Übrigens: Ich bin bei Weitem kein Einzelfall. Rund ein Drittel aller Erwachsenen lebt mit einer chronischen Erkrankung. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass in jeder Firma Menschen mit Diabetes, Rheuma, Depressionen oder anderen Dauerdiagnosen arbeiten. Will man wirklich auf all diese Talente verzichten? Wohl kaum – dann würde die Belegschaft ziemlich überschaubar ausfallen.
«Oft sind die Reaktionen aus dem Umfeld sogar positiver, als man denkt. Wer offen über seine Krankheit spricht, erlebt häufig Respekt statt Mitleid – und Verständnis statt Ablehnung.»
Ich sehe es so: Wer in meine Gesundheit investiert, bekommt dafür eine loyale und engagierte Mitarbeiterin. Punkt. Und oft sind die Reaktionen aus dem Umfeld sogar positiver, als man denkt. Wer offen über seine Krankheit spricht, erlebt häufig Respekt statt Mitleid – und Verständnis statt Ablehnung. Wenn ich locker (und manchmal auch mit einem Augenzwinkern) über meine Psoriasis-Arthritis spreche, signalisiere ich: Alles gut. Kein Drama.
Und das tut auch meiner Psyche gut. Vielleicht habe ich also doch so etwas wie einen Fünfjahresplan: Mit meiner Erkrankung selbstbewusst durchs Berufsleben zu gehen, beruflich voranzukommen – und dabei möglichst wenig fliegende Tannenzapfen abzubekommen.