Bernhard Hunziker hat kurze, lockige Haare, einen Bart und einen Ohrring. Zu sehen ist sein Oberkörper, leicht von unten fotografiert. Im Hintergrund sind dichte Wolken. Hunziker ist im Schatten und es ist fast nur seine Silhouette zu sehen.

Bernhard Hunziker, Absolvent Trainingsprogramm RoB. Bildnachweis: zVg.

Ich bin im Rollstuhl unterwegs. Dies aufgrund einer Muskelerkrankung, welche im Älterwerden zu Problemen mit dem Gehen führt. Aus medizinischer Sicht und für mich als Atheist ist es folglich glasklar, dass dies nicht einfach so durch eine höhere Macht weggezaubert werden kann. Die Ansicht, genau dies sei aber möglich, ist in der Gesellschaft vielverbreitet, wie mir überraschend oft zu Ohren kommt.

Wenn ich im Alltag unterwegs bin, werde ich regelmässig von fremden Menschen angesprochen und gefragt, ob sie für mich beten dürfen. Davon können alle halten, was sie wollen. Familie und Freunde fallen teilweise fast vom Stuhl, wenn ich darüber berichte. «Das ist doch total übergriffig!» 

Ich allerdings entschied, mich nicht der Empörung hinzugeben. Solange ich nicht zum Mitbeten aufgefordert wurde, versuchte ich darin primär die nette Geste zu sehen.

Im Laufe der Zeit wurde es mir jedoch zunehmend unangenehm, da sich diese Situationen häuften. Fremde Menschen mit der Hand auf meiner Schulter, ihre Gottesverse vor sich hinbrummelnd und ich nichtsnutzig danebensitzend. Auch wurde mir immer mehr bewusst, wie komisch das Ganze doch aussehen musste. Das Gefühl der netten Geste verfärbte sich zunehmend dunkler.

Als ich dann eines Tages nach einem dieser Gebete sogar noch zum Aufstehen und zu Gehversuchen aufgeboten wurde, war meinerseits das Mass definitiv voll. So habe ich mich entschieden, künftig niemanden mehr für mich beten zu lassen. Diese neue Haltung habe ich zu verinnerlichen versucht. Irgendwann, so war mir klar, würde sie auf die Probe gestellt werden.

Neulich, im morgendlichen Pendlergetümmel am Bahnhof Bern, war es soweit. Ich war unterwegs, als mir wieder Gebete angeboten wurden. Und es hat tatsächlich geklappt! Also nicht die Gebete wurden erhört. Eventuell auch etwas vom dichten Treiben beeinflusst, habe ich die Anfrage ohne zu überlegen dankend abgelehnt!

Der junge Mann, ab meiner Abfuhrt sichtlich verdutzt, wünschte mir einen schönen Tag und ging weiter.  Minim habe ich ein schlechtes Gewissen verspürt. Um einiges gewichtiger war jedoch das Erfolgserlebnis – ich konnte mir selber treu bleiben und verbog mich nicht anderen zu liebe. Nun bin ich zuversichtlich, diese Handhabung fortan weiterführen zu können.

Und seien wir doch mal ganz ehrlich: dass ich nach all den bisherigen Gebeten immer noch im Rollstuhl sitze, ist Bestätigung genug. Gott oder wer auch immer, mag offenbar keine magischen Heilkräfte an mich verschwenden. 

*Bernhard Hunziker hat im Sommer das RoB-Trainingsprogramm abgeschlossen.