
Das Team von Auawirleben, v.l.n.r: Melanie Durrer, Melisa Su Taskiran, Mahalia Haberthür, Bettina Tanner, Olga Drygas, Nicolette Kretz. Bildnachweis: zVg.
Wir kämen nicht nach, uns über die Welt zu empören. Ereignisse, von denen wir denken, dass sie schlimm seien, würden von drastischeren übertroffen. So heisst es im Editorial der Programmbroschüre von auawirleben, dem Berner Theaterfestival, das vom 7. bis 18. Mai dauert. Aber es gebe auch Gutes. Hilfreich sei es, hinzuschauen, was gut laufe, und wer mit dem eigenen Weg Widerstand leiste. Deshalb entschied sich das Festival-Team für die englische Wendung «Good on you!» oder auf Deutsch «Gut für dich!» als Motto.
«Marginalisierte Menschengruppen müssen mehr Bühne erhalten!», bekräftigt Mahalia Haberthür, zuständig für die Kommunikation von auawirleben. Daher seien dieses Jahr trans Menschen und solche mit Behinderungen, Migrationshintergrund und normabweichenden Rollenbildern im Fokus.
Um diesem Schwerpunkt Tiefe und Authentizität zu verleihen, holte sich auawirleben Dan Daw und Liz Counsell aus England ins Kurator:innen-Team mit Nicolette Kretz von auawirleben. «Als Aktivist:innen für Künstler:innen mit Behinderungen und Neurodivergenz haben sie für auawirleben 2025 noch mehr Sichtweisen eingebracht und das Programm aktiv mitgestaltet», erklärt Haberthür. Denn die beiden aus dem Norden nähmen eine Vorreiterrolle für barrierefreie Produktionen und Veranstaltungen ein.
«Marginalisierte Menschengruppen müssen mehr Bühne erhalten!»
Demzufolge schmücken nicht nur Akrobatik, Tanz, Theater, Film und Spiele das Festival-Programm, sondern auch eine Vielfalt an Themen. Sie laden uns ein, unsere Perspektiven zu überdenken, in neue einzutauchen, gemeinsame zu teilen und vielleicht auch ein paar zu entsorgen. Zum Beispiel bei «Bauchgefühl» vom Theater Thikwa, wie wir über Kinderbekommen und Elternschaft denken. In «I work with the potential, that I might be a DOG» setzt sich Yaniv Cohen mit ADHS und gesellschaftlichen Erwartungshaltungen auseinander und in «JUICE» River Roux mit Intergeschlechtlichkeit und Non-Konformität.
Doch auf den Bühnen stehen nicht nur Kunstschaffende aus dem In- und Ausland, sondern auch Freiwillige aus dem Publikum. Etwa bei «For Real» ist das Publikum selbst Gast in einem Radiostudio, in dem Freiwillige auf Voranmeldung selbst ans Mikrofon treten können. Für «First Trimester» können sich im Vorfeld elf Personen als Samenspender:innen und Bühnen-Gesprächspartner:innen anmelden. Bei «The Game» spielt das Publikum in Vierergruppen, bei denen sie gewichtige Entscheidungen treffen müssen. Demnach rahmt alles vom Tiefgründigem bis zum Heiteren das Programm.
Möchte sich das Publikum Drinks, Snacks oder ein leckeres Essen gönnen, wird es im Festivalzentrum «in transformation», kurz «intra», fündig. Das intra, in Bahnhofsnähe am Bollwerk, bietet allen Raum, sich zu treffen, auszutauschen und zurückzulehnen. Unter die intra-Gäste mischen sich Kunstschaffende und Personen aus dem auawirleben-Team. Talks, Cabarets und Lesungen im intra krönen das 12-tägige Festival. Zudem steigt dort am Freitag, 16. Mai die «Messy Party», für alle, die ihr Bein oder das Rollstuhlrad auf der Tanzfläche schwingen möchten.
«Die Zusammenarbeit geprägt von grossem gegenseitigem Vertrauen in die jeweilige Expertise.»
In dieser Festivalsaison macht auawirleben bei der Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen einen Sprung. Eine Vielzahl der Darstellungen ist als «Relaxed Performances» gekennzeichnet, also Shows, in denen das Publikum sich bewegen und Geräusche machen darf. Weiter enthält ihr Programm deutlich mehr Darbietungen mit Übertiteln, Verdolmetschungen und weiteren barrierefreien Zugängen. Im Programm veröffentlicht auawirleben unter «Content Notes» und «Sensorische Reize» Trigger Warnungen zu den Aufführungen. Diese Hinweise sind präzisiert worden, was Zuschauende also in einer Performance zu sehen, spüren oder hören bekommen.
Die Massnahmen zur Barrierefreiheit würden sonst niemanden nützen. Aus diesem Grund «ist es uns wichtig, dass die Verbesserungen in Absprache mit den Nutzenden dieser Anpassungen geschehen», so Haberthür und ergänzt: «Bei diesen Menschen holen wir zugleich unsere Motivation, und so setzen wir die Anpassungen mit Herzblut und Freude um.»
Damit das Knowhow für die Barrierefreiheit sich nicht auf die Festivalzeit vom 7. bis 18. Mai beschränkt, organisiert auawirleben mit Dan Daw und Liz Counsell, den beiden Expert:innen für Barrierefreiheit, einen einwöchigen Workshop für Theater- und Tanzschaffende. In diesem vermitteln die Expert:innen handfeste, praxisorientierte Anleitungen und Tipps, wie Tanz- und Theaterproduktionen fürs Publikum zugänglicher gestaltet werden können.
«Wir machen vom Widerstand keine Pause. Denn Aktivismus ist eine Alltagssache.»
Ausserdem ist am Sonntag, 11. Mai um 16.30 Uhr einen Talk mit Dan Daw und Liz Counsell, zusammen mit auawirleben-Gesamtleiterin Nicolette Kretz. Dieser Talk in Englisch gibt einen Einblick in ihre Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Diese beschreibt Haberthür als «geprägt von grossem gegenseitigem Vertrauen in die jeweilige Expertise.»
Mit beiden Angeboten sorgt auawirleben dafür, dass das Wissen und die Erfahrungen für Barrierefreiheit in der Schweizer Theater- und Tanzlandschaft weitergetragen werden. «Wir machen vom Widerstand keine Pause. Denn Aktivismus ist eine Alltagssache», unterstreicht Haberthür das Engagement von auawirleben.
Am liebsten würden Haberthür und das Team von auawirleben sich schon heute zum 7. Mai, dem Eröffnungstag, beamen. Riesig ist ihre Vorfreude aufs Programm, das Festivalzentrum, den Austausch mit bekannten und neuen Gesichtern. Darum rufen sie allen: «Good on you!» zu, allen in den Foyers, den Theatersälen, dem Kino Rex und dem Festivalzentrum. Für alle hat es im Programm etwas dabei. «Lassen Sie uns zusammenkommen und zusammenhalten! ‹Good on you!›»
auawirleben
Das Berner Theaterfestival dauert vom 7. bis 18. Mai 2025. Weitere Informationen dazu sind auf: