
Da liegt der Ursprung
Wer «mit beiden Beinen im Leben steht» , hat den Schritt in die Unabhängigkeit geschafft – ob im Beruf, im Alltag oder im Leben ganz allgemein. Die Redewendung ist fest im Sprachgebrauch verankert und steht sinnbildlich für Selbstständigkeit und Eigenverantwortung. Doch der Ausdruck ist nicht nur im Deutschen bekannt: Weltweit bedienen sich viele Sprachen derselben körpernahen Metapher – mit erstaunlicher Übereinstimmung.
Vom Englischen «to stand on one’s own two feet» über das Polnische «stanąć na własnych nogach» bis hin zum Japanischen «自分の足で立つ» – überall wird das Bild des stehenden Menschen zitiert, um einen Zustand der Eigenständigkeit zu beschreiben. Selbst in semitischen Sprachen wie Arabisch und Hebräisch finden sich fast wörtliche Entsprechungen.
Warum gerade die Beine? In vielen Kulturen gelten sie als Symbol der Selbstbestimmung: Wer steht, braucht keine Stütze. Wer geht, bewegt sich aus eigener Kraft. Vor allem im Übergang ins Erwachsenenleben – etwa beim Berufseinstieg oder dem Auszug von zu Hause – hat sich der Ausdruck als gesellschaftlich relevantes Bild etabliert.
«Laufen‘ finde ich viel natürlicher als zum Beispiel ‹rollen›. Ich fühle mich da nicht ausgeschlossen.»
Die Verbindung von Körper und Selbstständigkeit ist in mehr als 30 Sprachen nachweisbar – quer durch Europa, Asien und darüber hinaus. In anderen Fällen tauchen sinngleiche Redewendungen mit Flügeln auf, wie z. B. im Französischen «voler de ses propres ailes» ) oder mit Händen und Kraft. Doch das Motiv der Beine bleibt das weltweit am häufigsten genutzte Bild.
Wir haben nachgefragt
Sport-Journalist Simon Scheidegger ist Rollstuhlfahrer. Er sieht die Redewendung ganz entspannt und hat generell kein Problem mit solchen Formulierungen. «Mich stören solche Redewendungen nicht» , sagt er. «Was mich eher stresst, ist, wenn Leute krampfhaft versuchen, ein anderes Wort als ‚laufen‘ zu finden, wenn es um meine Fortbewegung geht.» Viele hätten dabei offenbar ein schlechtes Gewissen, meint er, und das wirke oft gezwungen. «Laufen‘ finde ich viel natürlicher als zum Beispiel ‚rollen‘. Ich fühle mich da nicht ausgeschlossen.» Auch die Redewendung «auf beiden Beinen stehen» empfindet er nicht als problematisch. «Es gibt viele Menschen, die im Alltag einen Rollstuhl nutzen, aber je nach Situation auch aufstehen und ein paar Schritte gehen können.»
«Es gibt viele Menschen, die im Alltag einen Rollstuhl nutzen, aber je nach Situation auch aufstehen und ein paar Schritte gehen können.»
Welche Alternativen gibt es?
Es lohnt sich also, genau hinzuschauen. Nicht jede Redewendung mit Körperbezug ist automatisch ausgrenzend. Es gilt zu unterscheiden zwischen Begriffen, die tatsächlich diskriminierend wirken – und solchen, die schlicht metaphorisch gewachsen sind.
Wer trotzdem auf eine inklusivere Sprache achten möchte, hat viele Alternativen zur Hand: Statt «mit beiden Beinen im Leben stehen» kann man sagen «selbstständig sein» oder einfach «sein Ding machen» . Auch Formulierungen wie «eigenverantwortlich handeln» oder «im Leben angekommen sein» transportieren die gleiche Aussage – nur eben ohne körperliches Bild.