Collage: Silvia Jauch hält eine Schwimmbrille mit Schnorchel. Sie trägt einen Neoprenanzug. Man sieht ihren Oberkörper und die nassen Haare. Links im Bild steht "Blog Nummer 5" und es hat eine Illustration einer Perle in einer Muschel.

Ich wollte es wissen und buchte einen Tauchkurs für Fortgeschrittene. Suchen, bergen, blind tauchen, nachts tief runtergehen und zwar mit Rheuma im Taucherbeutel. Die Sicht war so schlecht, dass ich höchstens 30 Zentimeter weit sah. Das Wasser war eiskalt und ich hatte einen Anzug an, mit dem ich hätte ins All fliegen können. Meine Finger waren dick eingepackt und so gut wie nutzlos. Das mitgeschleppte Material war so schwer, dass ich es kaum allein ins Wasser schaffte und bereits wusste, dass ich für diese Aktion bezahlen würde. Taschenlampen, Karabiner, Seile, Boje, Kompass, Messer und zu viele Neoprenteile erdrückten mich. Ich, die bislang nur halb nackig, ganz ohne Krimskrams in tropische Gewässer rumtauchte, dabei regelmässig Purzelbäume und spiralförmige Turnübungen machte, Haie bewunderte und von Drückerfischen Bissspuren an meinen Flossen davontrug, bis ich bei meinen Buddy regelmässig um Luft betteln musste, war jetzt an meiner persönlichen Grenze des Machbaren angekommen. 

Eine neue Erfahrung. Tauchen war für mich immer mein intuitivstes Ding gewesen. Ich wusste nicht weshalb und wie, aber ich konnte es von Beginn an einfach perfekt. Wer jetzt denkt, dass ich eingebildet klinge, darf das natürlich, trotzdem bleiben Fakten eben Fakten und dazu gehört auch, dass ich als Fisch hätte zur Welt kommen sollen und bei der Abgabe von Mathematik-Hirnzellen vergessen ging. Somit wissen wir jetzt auch, warum mir mein Körper weh tut – das würde zumindest der Schamane aus der Dose behaupten, nachdem er den zweiten Lehrgang bei www.heiler_in_5_min_werden.com hinter sich gebracht hat. Ich bin gemacht für die Welt unter Wasser, wogegen ich an Land alles andere als leichtfüssig bin. 

Mein Kompass zeigte mir zwar die Richtung, aber alles um mich herum bestand aus einer braunen schlammigen Tiefe. Die Millionen Partikel, die vor meiner Maske herumtanzten, sahen aus wie ein endloser TV-Glitch und verwirrten meine Sinne komplett. Die Hand am ausgestreckten Arm verschwand und ich musste oft tief und langsam durchatmen, um nicht überstürzt hochzutauchen. Ich hatte zum ersten Mal Panikgefühle unter Wasser, aber ich biss auf die Zähne und zog es durch. Eine Lektion nach der anderen. Mitten in der Nacht tief unten die Taschenlampen ausknipsen und in völliger eiskalter Dunkelheit ruhig bleiben. Oder im braunen Nebel ein Seil halten, dass ins Nirgendwo führte. Lernen wie man schwere Gegenstände wieder an die Wasseroberfläche zurückbringt. 

Nach diesem Kurs erhielt ich eine Trophäe, die ich in Gedanken nun täglich mir herumtrage: Ich hatte etwas geschafft, das mir verdammt schwergefallen war und als Dank dafür glaubte ich wieder an mich. Der beste Teil daran war, dass ich wieder an mein Rheuma denken konnte, ohne dabei gleich Feuer und Galle zu spucken. Ein bisschen Friede kehrte wieder ein. 

Ich möchte euch jetzt nicht dazu überreden, irgendetwas zu tun, das über euer Wohlbefinden hinausgeht und mit dem ihr ein Risiko eingeht. Aber wenn ich einfach erzählen darf, was mir jeweils am meisten geholfen hat, waren es immer die Dinge, vor denen ich Angst gehabt habe, sie in Angriff zu nehmen. Die haben mich stärker gemacht als alles zusammen vor meiner Erkrankung. Heute, wenn mir jemand, vor allem beim Reisen, einen wilden Vorschlag macht, komm, wir springen dort rein, erkunden das Ding dort oder wir machen dieses oder jenes Abenteuer, solange es plus minus sicher ist und meine Ängste einfach persönlicher Natur sind und nicht logisch begründet, mache ich es inzwischen aus Prinzip und sage einfach Ja. 

Denn ich habe für mich festgestellt, dass man nie wachsen kann, wenn die Bedingungen perfekt sind. Das sieht man zum Beispiel sehr gut in der Natur. Alles, was sich fortlaufend entwickelt hat und sich an Widrigkeiten anpassen konnte, besteht bis heute, hat die schlimmsten Einflüsse überstanden und sich sogar noch in seiner Anpassung verbessern können. Wer das nicht tat, erlebte eine Epoche und ging bei der ersten Veränderung daran zugrunde. Ich kann euch nur raten, euch euren Ängsten immer zu stellen, sofern sie eben nicht mit einem Risiko verknüpft sind, das euch schaden könnte. Es gibt, glaube ich, kein grösseres und kein schöneres Gefühl, als wenn man sich selbst als besten Freund betrachtet, sich selbst die Hand entgegenstreckt und sagt: «wir schaffen das». Wenn man Dinge überwindet, dann ist es zwar nicht so, dass man als Nächstes seine Krankheit überwinden kann, aber man kann ihr mehr auf Augenhöhe begegnen und ihr mutiger entgegentreten als zuvor. Und das macht eine Menge aus.

Eure Silvia

Schon gespannt, wie’s weitergeht?

Silvia Jauch schreibt jetzt regelmässig für RoB – alle drei Wochen gibt’s neue Geschichten mitten aus ihrem Leben: ehrlich, humorvoll und mit einer Prise Chaos.

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