Collage: Aus einem offenen Mund kommt eine illustrierte Sprechblase: Schizophren! Oben rechts lautet die Überschrift: Sommerserie Nummer 4. Der Hintergrund ist grünkariert.

Da liegt der Ursprung

1908 hat der Schweizer Psychiater Eugen Bleuler den Begriff «Schizophrenie» erstmals einem Fachpublikum vorgestellt. Das Wort Schizophrenie setzt sich aus den beiden altgriechischen Wörtern für «Spalten» (s’chizein) und «Geist» (phrēn) zusammen, bedeutet also eigentlich: «gespaltener Geist».

Das Problem: Schon seit jeher wird das Wort auf eine Art und Weise verwendet, welche die Krankheit falsch darstellt. Der Wortursprung des gespaltenen Geistes verleitet zu denken, Betroffene der Krankheit Schizophrenie hätten eine gespaltene Persönlichkeit, seien möglicherweise im Verborgenen böse.

Gemäss Duden kann man mit dem Wort auch abwerten: Das zeigt sich unter anderem in der politischen Debatte in Deutschland: Politiker:innen bezeichnen sich gegenseitig als schizophren, wenn sie finden, das Gegenüber handle widersprüchlich oder abstrus. So berichtete das deutsche Online Portal N-TV im Februar 2024, der damalige SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert habe den heutigen CDU Kanzler Friedrich Merz als schizophren bezeichnet. Weil Merz die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zuvor zwar dauernd kritisiert hatte, sie später aber dennoch zur Wiederwahl vorschlug.

«Die ersten 10 Jahre war es mit viel Scham verbunden, jemandem meine Geschichte zu erzählen.»

Andrea Zwicknagl, Peer und Aktivistin

Wir haben nachgefragt

Andrea Zwicknagl ist 54 Jahre alt und hat die Diagnose Schizophrenie vor mehr als 20 Jahren erhalten. Sie erzählt uns: «Die ersten 10 Jahre habe ich die psychiatrische Erklärung, dass ich eine schlimme Krankheit habe, einfach akzeptiert. Es war immer mit viel Scham verbunden, jemandem meine Geschichte zu erzählen. Ein ganz grosser Schritt, der gut bedacht sein wollte.

Seither hat sich einiges geändert bei mir. Durch Begegnungen mit Menschen und Bewegungen, die einen freieren Umgang mit Erfahrungen von «Anderssein» und einen kritischen Blick auf das psychiatrische System haben.

«Ich bin generell skeptisch gegenüber der medizinischen Einordnung von Schizophrenie. Es gibt keinen Blut-, Urin- oder Haarwurzeltest für die Diagnose.»

Andrea Zwicknagl, Peer und Aktivistin

Deshalb berührt es mich heute kaum mehr negativ, wenn ich das Wort in den Medien lese, auch wenn es abwertend verwendet wird. Wenn der Satz «Das ist doch schizophren» in Alltagssituationen fällt, provoziere ich gerne spielerisch: «Nein, ich bin schizophren!» Nicht, weil ich diese Beschreibung für mich immer noch als stimmig empfinde, sondern weil ich die Person dazu anregen möchte, ihre eigene Vorstellung von Schizophrenie zu hinterfragen.

«Man sollte es Betroffenen selbst überlassen, welche Form von Erklärung für sie und ihr Umfeld die hilfreichste ist.»

Andrea Zwicknagl, Peer und Aktivistin

Ich bin generell skeptisch gegenüber der medizinischen Einordnung von Schizophrenie. Die Diagnose wird oft dann verwendet, wenn es keine geteilte Wirklichkeit mehr gibt mit einer Person. Das bedeutet,dass die Person die Realität nicht mehr wahrnimmt wie die Mehrheit. Aber: Es gibt keinen Blut-, Urin- oder Haarwurzeltest für die Diagnose. Sie beruht auf Übereinkünften von Fachpersonen. Man sollte es Betroffenen selbst überlassen, welche Form von Erklärung für sie und ihr Umfeld die hilfreichste ist. Und dies im Dialog mit Offenheit, Neugier und Wertschätzung gemeinsam erkunden. Das ist für mich das Wesentliche! Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, wäre es mehr Raum für Menschen und Erfahrungen, die nicht in die eng normierte Gesellschaft passen.»

Welche Alternativen gibt es?

Worte wie abstrus, widersprüchlich oder unverständlich sind neutraler und werten nicht zusätzlich ab.

Übrigens: Es gibt auch in der Schweiz verschiedene Ansätze, welche Wege suchen, die Erfahrung von psychischen Erschütterungen zu verstehen und aus ihnen zu lernen. Ausgangspunkt dafür ist die Begegnung mit Betroffenen und ihrem Umfeld. Wie zum Beispiel der Offene Dialog oder das Netzwerk Stimmenhören. Auch die seit einigen Jahren stattfindende Mad Pride ist ein Ort jenseits der normativen Enge.