Collage: ein schwarzweissfoto von Silvia Jauch. Sie küsst einen Mann. Der Ausschnitt zeigt Silvias Gesicht und die Lippen eines (unbekannten) Mannes. Daneben steht: Blog Nummer 7. Es gibt Illustrationen eines Herzens mit einem Pfeil und einem zugeschnürten Sack.

Dating ist ja schon ohne chronische Krankheit ein Hindernisparcours und ungefähr so spassig wie ein Buch von Stephen King: Es sieht zuerst einfach nur spannend aus, aber sobald du tiefer hineinblickst, blickt es zurück. Swipe nach links, Swipe nach rechts und hoffen, dass der andere nicht heimlich noch bei Mutti wohnt (was auf der Creepy-Punkte-Skala schon ziemlich reinhaut), auf seinem Profilbild zehn Jahre jünger aussieht oder dir keine Nacktfotos schickt.

Mit Rheuma wird’s gleich noch eine Nummer unbequemer. Da sitzt man also beim ersten Date, sofern Mutti ihm Freigang gewährt hat, er erzählt von seinem letzten Pickleball-Match, und man überlegt fieberhaft: Wie sag ich’s? Zwischen Vorspeise und Hauptgang? Beim ersten Kuss? Oder warte ich, bis er merkt, dass ich mich nicht ganz so geschmeidig auf den Barhocker setze und nicht weiss, wie ich da nach einer Stunde qualvollem Sitzen wieder runterkommen soll?

Es ist dieses unangenehme Gespräch, das Betroffene früher oder später führen müssen, um offenzulegen, dass da noch etwas ist. So klein dieses «Etwas» auch wirkt, so gross ist das Gewicht, das es im Dating-Rucksack mit sich trägt. Wer gleich zu Beginn sagt: «Übrigens, ich habe eine äusserst nervige Krankheit, die nicht geheilt werden kann», läuft Gefahr, dass der andere sofort Reissaus nimmt. Oder noch besser: Achselzuckend reagiert, es runterspielt («Ach, Rückenschmerzen hat doch jeder») und dann völlig schockiert dreinschaut, wenn er zum ersten Mal einen Schub live miterlebt. Überraschung, Baby!

Natürlich gibt’s auch die andere Sorte Mensch, die Ausnahme. Die fragt, wissen will, zuhört. Die nicht bei der ersten Erwähnung von «chronisch» einen Fluchtreflex bekommt, sondern bleibt. Die sich darauf einlässt, auch auf die unschönen Seiten. Nicht aufdringlich, aber interessiert. Ich wünschte, diese Sorte würde es öfter geben. Denn, Hand aufs Herz: Wir leben inzwischen alle länger, als es noch spassig wäre, die Lebenserwartung steigt und steigt, während die Lebenaqualität meistens sinkt. Die Chance, dass wir im Laufe unseres Lebens mit irgendeiner Krankheit zu tun haben, ist also ziemlich hoch. Noch grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass man mehr als einmal im Leben daten muss.

Und trotzdem wird so ein Drama gemacht, wenn jemand eine chronische Krankheit schon von Anfang an mitbringt. Ehrlich, manchmal denke ich: Wenn wir beim Daten standardmässig einen Gesundheitscheck austauschen würden, wäre die Romantik etwa so schnell tot wie die Logik einer Trump-Rede.

«Hallo, ich bin Anna, 36, Nichtraucherin, laktoseintolerant, leichte Kurzsichtigkeit und habe Probleme mit der Bandscheibe, kann dann nicht mehr alleine auf die Toilette.»

«Und ich bin Kevin, 39, Sportskanone, aber mit einer Suchttendenz, also sind die Sonntage mit mir kein Zuckerschlecken.»

Zack, kein Kribbeln mehr, sondern das Gefühl, gerade einen Knebelvertrag unterschrieben zu haben.

Aber zurück zur Realität: Liebe ist kein TÜV-Bericht, sondern ein Abenteuer. Und Abenteuer sind nun mal nicht planbar. Rheuma ist dabei wie ein ungebetener Reisebegleiter, mal schläft er still und leise auf der Rückbank, mal springt er mitten in der Nacht auf und schreit: «Überraschung, hier bin ich!» Da wünscht man sich jemanden, der nicht sofort sagt: «Oh Gott, das ist mir zu viel», sondern: «Okay, dann fahren wir eben langsamer weiter. Ich hab Zeit.»

Die Krux ist: Viele sehen zuerst die Krankheit und nicht den Menschen dahinter. Dabei bin ich nicht «die Frau mit Rheuma», sondern die Frau, die um 23 Uhr noch einen Kaffee trinkt, obwohl sie weiss, dass sie dann bis zwei Uhr morgens wachliegt. Die Frau, die Fehler macht, Pläne umschmeisst, trotzdem weitermacht und stärker wird. Ja, eine Krankheit gehört möglicherweise dazu. Aber es ist nur eine Beilage. Manchmal zu scharf, manchmal schwer verdaulich, aber niemals das Hauptgericht.

Und wenn ich eines gelernt habe: Wer bei diesem unangenehmen Gespräch bleibt, wer nicht wegrennt, sondern vielleicht sogar fragt: «Und was hilft dir, wenn’s schlimm wird?», der ist ein Jackpot. Kein Märchenprinz, kein Superheld, sondern einfach ein Mensch, der verstanden hat, dass Liebe immer ein Risiko ist.

Jeder von uns trägt sein kleines Chaos-Päckchen mit einer tickenden Zeitbombe durchs Leben. Bei den einen sieht man es sofort, bei den anderen erst Jahre später. Manche nennen es Krankheit, andere Schicksal oder einfach nur Pech. Am Ende geht es nicht darum, ob du gesund oder krank bist, sondern ob jemand bereit ist, dich zu lieben - mit all deinen Päckchen.

Und für genau diesen Menschen lohnt es sich, das unangenehme Gespräch zu führen. Immer und immer wieder. Davor oder dazwischen, ansonsten wird geküsst. 

Schon gespannt, wie’s weitergeht?

Silvia Jauch schreibt jetzt regelmässig für RoB – alle drei Wochen gibt’s neue Geschichten mitten aus ihrem Leben: ehrlich, humorvoll und mit einer Prise Chaos.

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