Collage: Silvia Jauch trägt einen geöffneten Blazer und darunter Lingerie mit Spitze. Daneben steht Blog Nummer 8 und ein Lippenstiftabdruck.

Es ist schon seltsam: Kaum sprichst du als chronisch kranker Mensch über Dating, öffnen sich Welten, die man besser mit Handschuhen anfasst. Und weil ich beim letzten Mal über das Thema Daten mit Behinderungen geschrieben habe, möchte ich heute ein bisschen tiefer in diese Welt hineinkriechen, oder, sagen wir’s wie es ist: mich mit euch mitten hineinlegen. Denn es geht um Sex.

Ja, genau. Dieses Ding, das angeblich alle wollen, niemand zugeben darf, wenn er oder sie es hat, und das bei chronisch kranken Menschen offenbar eine eigene Gebrauchsanweisung und Infobroschüre verdient hätte. 

Darf sie überhaupt Sex haben?

Als ich früher für Beldona modelte, bekam ich regelmässig Fanpost. Manche wollten einfach nur Hallo sagen. Andere… nun ja, sie wollten mehr wissen. Interessanterweise drehte sich das «Mehr» erstaunlich schnell um das Thema Sex. Und weil diese Herren wussten, dass ich Rheuma habe, verbanden sie das gleich mit funktionalen Fragen:

«Darfst du überhaupt Sex haben?»
«Geht das bei dir mit den Gelenken?»
«Und wenn du Schübe hast… funktioniert das dann noch?»

Manchmal wusste ich nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Ich fragte dann meist zurück: «Was genau meinst du mit <geht das>?», «ist Sex bei dir ein rein sportliches Ereignis?», «oder hast du schon mal von kreativen Alternativen gehört?» Antwort: betretenes Schweigen. 

Breaking News: Sex ist mehr als Hüftrotation. 

Offenbar gibt es Menschen, die glauben, Sex sei ein sportliches Bewegungsprogramm mit festem Ablaufplan. Schade, du verpasst so viel! Aber sind wir ehrlich: Auch ein gesunder Mensch kann bestimmte Stellungen, Praktiken oder Berührungen nicht mögen, nur wird ihm dann nicht die «Krankheitskarte» auf den Nachttisch gelegt. Niemand fragt einen gesunden Menschen: «Kannst du das überhaupt?»

Sex ist so vielfältig, wie es auch die verflixten Krankheiten sind. Und Intimität kann hundert Formen haben, die weder Schmerzen verursachen noch drei Tage Arbeitsausfall nach sich ziehen und auch keine IV-Anmeldung erfordern. Warum also denken so viele, körperliche Einschränkung bedeute automatisch Enthaltsamkeit auf Lebenszeit?

Wenn Krankheit zum Fetisch wird

Jetzt kommt ein brisantes Thema, dass viele nicht kennen: Es gibt tatsächlich Menschen, die gezielt nach Partnern mit körperlichen Einschränkungen suchen, weil sie das erregend finden. Dieser Fetisch heisst Devotee. Menschen mit diesem Fetisch, meist Männer, fühlen sich sexuell angezogen von Personen mit sichtbaren Behinderungen oder chronischen Erkrankungen. Das Spektrum reicht von harmloser Faszination bis zu extremen, grenzüberschreitenden Fantasien. Es kann also in einem sehr gruseligen Bereich übergehen, den selbst Stephen King schaudern lassen würde. Leider ist vielen Menschen mit Krankheiten und Behinderungen nicht bewusst, dass solche Leute sehr gezielt vorgehen und ihren moralischen Kompass schon längst verloren haben. Diese Szene hat es nämlich in sich.

Eine gesundheitliche Einschränkung kann somit nicht nur abschrecken im sexuellen Bereich, sondern ganz im Gegenteil auch Begehren wecken. Ich habe im Laufe der Zeit mehrere Männer ausfindig machen können, die gezielt mich und sogar Frauen aus meinem Umfeld, also aus meiner Community, angeschrieben haben. Sie suchten ganz bewusst nach einem bestimmten Typ Frau: chronisch krank, bewegungseingeschränkt, «verletzlich«, mit genau jenem Hintergrund, der ihren Fetisch bediente. Die Vorgehensweise erinnert an eine empathielose Jagdszene. 

Versteht mich nicht falsch, jeder darf seine Vorlieben haben. Aber ihr könnt euch nicht vorstellen, was diese Menschen alles erzählen und wie viel Effort sie hineinlegen, um schlussendlich etwas zu bekommen, das sie nicht offen kommunizieren: Nämlich, dass ihr Fetisch bedient wird und oft auf eine sehr bizarre Weise.  Erst in der allerletzten Sekunde wird dann die Überrumplungstechnik angewandt und diese führt leider nicht selten zum Erfolg. Sobald der Reiz befriedigt ist, sind sie weg. Nichts bleibt übrig von den vielen Liebesversprechungen, die sie zuvor geleistet haben, nur ein bleibender Nachgeschmack mit möglichen emotionalen Folgen. 

Ihr dürft euch gern selber in dieses Rabbit Hole wagen, aber ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass dieser Fetisch nur sehr selten in einer «gesunden» Form bei einem Menschen anzutreffen ist. Triggerwarnung!

Krankheiten und Einschränkungen können nicht nur Mitleid wecken, sie können auch instrumentalisiert werden. Und das ist der Moment, in dem es nicht mehr um kreative Alternativen geht, sondern es anfängt, übergriffig zu werden.

«So schlimm kann’s ja nicht sein, wenn du über Sex schreibst.» 

Das ist die andere Seite: Sobald ein chronisch kranker Mensch offen über Sex spricht, kommt das moralische Schulterzucken. «Also wenn du noch daran denken kannst, kann’s dir ja nicht so schlecht gehen.» Aha. Als würde man durch das Denken an Lust plötzlich zum Simulant werden. Macht Sinn.

Dieser Satz sagt mehr über das Menschenbild unserer Gesellschaft aus, als über das Liebesleben von Betroffenen.

Das Fazit mit Augenzwinkern

Chronisch krank zu sein, bedeutet nicht, auf Nähe, Lust oder Erotik verzichten zu müssen.

Es bedeutet höchstens, kreativer zu werden. Und vielleicht zu lernen, dass Intimität nicht in Gelenkbewegungen, sondern in Verbindung geschieht: körperlich, seelisch, spielerisch. Es bedeutet aber auch, dass man teils verletzlicher ist und leider auch Menschen anzieht, die ihre wahren Beweggründe nicht offen kommunizieren. 

Mein Fazit? Reden wir darüber. 

Schon gespannt, wie’s weitergeht?

Silvia Jauch schreibt jetzt regelmässig für RoB – alle drei Wochen gibt’s neue Geschichten mitten aus ihrem Leben: ehrlich, humorvoll und mit einer Prise Chaos.

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